Michael Fleischmann – eine besondere Fotoausstellung
Kuratiert und bearbeitet von der Kunstschule Heimat – Ute Lennartz-Lembeck
Für diese Ausstellung von entscheidender Bedeutung ist:
Wer hat das Bild gemacht und für wen wurde es angefertigt? (1)
Die Ausstellung gewährt ungewöhnliche und sehr persönliche Ein- und Aussichten aus der Sicht eines Menschen, der auf ein bewegtes Leben zurück blickt.
Michael Fleischmann ist ein Ur-Remscheider, er kennt die Stadt und die Stadt kennt ihn.
Aufgewachsen am Neuenhof, zog er später nach Reinshagen, in der gemeinsamen Wohnung mit seiner Frau verbrachte Tochter Jessika ihre ersten drei Lebensjahre.
In der Rudolf-Stoßberg-Straße kam Sohn Patrick hinzu, in der Adolf-Westen-Straße die jüngste Tochter Tanja.
Nach 7 ½ Jahren zerbrach die Ehe, danach ging es für Michael zur Lenneper Straße, zum Güldenwerth und dann zur Freiheitstraße.
Es gab gesundheitliche Probleme, mehrere leichte Schlaganfälle, Herzprobleme, Schwierigkeiten mit den Füßen, an der Schulter, ein neues Knie...
Aber Michael Fleischmann ließ sich nie unterkriegen, zog mit seinen drei Kindern zum Honsberg und war 13 Jahre alleinerziehender Vater.
Was Michael Fleischmann so außergewöhnlich macht, ist seine Bereitschaft anderen zu helfen, sein gutes Herz, dass er immer aktiv ist.
Als Mitglied der Theater-AG ‚die glorreichen 6-8’, spielte er in Aufführungen mit, ein Film (MIHO), unter der Regie von Magdalena von Rudy, entstand, es gab Wohnzimmerkonzerte in seiner Wohnung und nun diese Ausstellung.
Ich persönlich schätze an Michael seine Ehrlichkeit und die Bereitschaft, niemals aufzugeben.
Diese Ausstellung ist etwas Besonderes.
Der unverfälschte Blick ohne Beeinflussung durch fotografische Vorkenntnisse, die Freude, mit der die Bilder gesucht wurden und die Entstehung dieser sehr persönlichen Fotos (Fotografien sind immer auch ein Abbild des Fotografen selbst, seiner Sichtweise).
Sechs Monate erkundete Michael Fleischmann sein Remscheid mit seiner Kamera.
Annähernd 600 Fotos entstanden.
Die Ausstellung zeigt Michaels Auswahl, die Hängung und das Konzept haben wir gemeinsam entwickelt.
Das Konzept ist neuartig:
Am Anfang stand für mich das Interesse an Michael Fleischmann, seiner Art, seine Umgebung wahrzunehmen und sich darin zu bewegen.
Da lag es nahe, dass er fotografierte.
Die Frage war, was ist Fotografie? (2)
Was kann sie leisten?
Inwiefern ist das Abbild auch Zeichen für eine einzelne Persönlichkeit, für ein Milieu.
Wolfang Tillmans zitiert: „Wie kommt Bedeutung in ein Stück Papier? Wie kann ein Stück Papier derart aufgeladen sein? Das Material selbst ist industriell gefertigt und besitzt keine eigenen Ausdrucksmittel.
Unsere Menschlichkeit, unser Gehirn erfüllt es erst mit Leben. Entscheidend ist, wie wir die Dinge auf dem Papier gestalten, damit es irgendwie eine Darstellung des Lebens wird und Intentionen und Emotionen sichtbar macht.“ (3)
Michael Fleischmanns Aufnahmen machen sichtbar und sind menschlich.
Die Fotografie ist ein Medium, das in sehr verschiedenen Zusammenhängen eingesetzt wird. (4)
Der ‚fotografische Amateur’ führt eine Tätigkeit aus, die keine objektiven Qualitätskriterien erfüllen muss. (5)
Dennoch sehen sich die Fotografen teils im Zusammenhang der Tradition: „Die sozialen Lebensbedingungen im 20. Jahrhundert sind (...) durchgängig ein wichtiges Thema gewesen. Manchmal konnten solche Aufnahmen geradezu eine soziale Profilschilderung über die gesellschaftliche Situation eines Landes liefern. (6)
... Das moderne Familienportrait z.B., das vor allem das Typische herausstellt, ist ein wichtiger Bestandteil der sozialen Fotografie. Die Familie als kleinste gesellschaftliche Einheit vermag im Foto ‚pars pro toto’ Ausschnitte einer Sozialschicht zu repräsentieren. (7)
Auch soziologische Studien in der Tradition von Pierre Bourdieu unterstellen der Amateurfotografie den Zweck, den Zusammenhalt der Familie zu gewährleisten und zu fördern (8) , in diesem Fall noch weiter gefasst: es geht um Remscheid im Kleinen und im Ganzen.
Die Fotos dokumentieren Michael Fleischmanns persönliche Sicht, zeigen aber gleichzeitig einen Querschnitt von Dingen, die wir alle kennen und mit denen uns etwas verbindet.
Spannend ist für mich persönlich, wie sehr Michael zwischen verschiedenen Milieus wechselt, sich dort auskennt und dazu gehört.
Emilie Durkheim (9) bezeichnet ‚soziales Volumen’ als die Zahl der sozialen Einheiten, aus denen sich die Interaktion oder Kontakte der miteinander in Beziehung stehenden Individuen oder Gruppen innerhalb eines sozialen Volumens zusammen setzen.
Michel Fleischmann scheint mir nicht festgelegt, sehr offen und sehr weitläufig verzweigt. Sein Habitus (nach Bourdieu (10))(11), also die theoretische Einbeziehung der Erfahrungen zum sozialen Raum, sozialen Feld, zum Kapital und zur Klasse erscheinen mir außergewöhnlich weitläufig und frei.
Sicher trägt Michael Fleischmanns Lebensweg dazu bei, dass sein ‚sozialer Raum’ äußerst vielschichtig ist.
Immer wieder war und ist er in der Lage, den ‚konditionierenden Effekt’ zu hinterfragen.
Das erlebe ich als außergewöhnlich.
Und beispielhaft.
„Eine Klasse ist vielmehr definiert durch die Struktur der Beziehungen zwischen relevanten Merkmalen... “ (12). Alle Ausdrücke stehen in komplexer Verstrickung zueinander...
Zeit dafür, das persönlich zu überdenken.
Und dass macht Michael Fleischmann permanent, bleibt sich selbst treu.
Das ist etwas sehr Besonderes.
Michael Fleischmann hat Courage, also Mut und Beherztheit und Herzenswärme.
Er geht auf andere zu, gibt ihnen ein gutes Gefühl
Das bilden die Fotos ab.
Sie zeigen ganz unterschiedliche Milieus und Menschen, in manchen erkennt sich der Betrachter wieder, manche sind vielleicht durch ihre Privatheit berührend, die Natur spielt eine Rolle. In den Mandelbaum kann man sich meditativ versenken...
Von Anfang an war Michael Fleischmann klar, dass seine Fotografien schwarz-weiß sein sollten.
Die ursprüngliche Art der Fotografie, die das Motiv in den Mittelpunkt stellt.
Durch die ‚Übersetzung’ der farbigen Realität in die reduzierte Dimension der Grauwerte und ihre extremen Ausprägungen Schwarz und Weiß, schafft sich die Schwarzweißfotografie ihre eigene abstrahierende Bildästhetik…(13)
In der täglichen Bilderflut erscheint die klassische Einzelaufnahme heute geradezu als rettende Insel. Die wohltuende Wirkung, die etwa eine ästhetische Schwarzweißaufnahme auf die menschliche Wahrnehmung hat... (14)
Insofern auch ein Gegenpol zur täglichen Bilderflut und eine Einladung zur analogen Kommunikation (15).
Alle Fotos waren ursprünglich Farbaufnahmen, erstellt mit einer Nikon D70.
Alle Fotos wurden im Sinne von Umrechnung in Graustufen und entsprechenden Gradationskurven bearbeitet, an den Motiven wurde nichts verändert.
Die Ausstellung möchte eine Einladung sein, sich auf unterschiedliche Sichtweisen einzulassen, seine eigenen Vorurteile zu hinterfragen, die Toleranz zu spüren und Vorurteile abzubauen.
©Ute Lennartz-Lembeck
Quellennachweis:
(1) Klaus Honnef (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit Jan Thorn Prikker ,Lichtbildnisse, Das Portrait in der Fotografie, , Rheinisches Landesmuseum, Rheinland-Verlag GmbH, Köln, 1982
(2) (Mis)Understanding Photographie, Werke und Manifeste, Edition Folkwang/Steidl, Klappentext
(3) Wolfgang Tillmans, hier in Dr. Tobias Bezzola, Direktor des Museum Folkwang, Vorwort und Dank, (Mis)Understanding Photographie, Werke und Manifeste, Edition Folkwang/Steidl
(4) https://de.wikipedia.org/wiki/Fotografie, 21.10.2017
(5) nach https://wikipedia.org/wiki/Amateurfotografie, 21.10.2017
(6) Die Geschichte der Fotografie im 20. Jahrhundert, Peter Tausk, Du Mont Buchverlag, Köln, 1977, S. 219
(7) ebd. S.225/226
(8) ebd.
(9) https://de.wikipedia.org/wiki/Soziales_Milieu, 21.10.2017
(10) https://www.die-bonn-de/doks/bremer0501.pdf, 21.10.2017
(11) Das Habitus Konzept von Pierre Bourdieu bezeichnet die Grundhaltung eines Menschen zur Welt und zu sich selbst. Der Habitus besteht aus den Denk- und Verhaltensstrukturen, die die Möglichkeiten und Grenzen des Denkens und Handelns eines Menschen bestimmen. Der Habitus legt fest, was ein Mensch sich zutraut, welche Wahrnehmungskategorien er besitzt, was für ihn denkbar ist, welches Verhalten für ihn so selbstverständlich ist, dass er nicht darüber nachdenkt, welches schwer vorstellbar und durchführbar ist und welches unmöglich für ihn erscheint.... Den Habitus nennt Bourdieu auch ‚strukturierte Struktur’ in dem Sinne, dass er durch Erfahrungen geprägt wird... Der Mensch prägt seine Umwelt den Strukturen seines Habitus entsprechend...
(Literatur Krais, Beate/Gebauer, Gunter, 2002: Habitus, transcript, Bielefeld, 21.10.2017
(12) https:/www.student-online.net/Publikationenen/150/original_154_stdent_online.html, 21.10.2017
(13) https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarzwei%C3%9Ffotografie, 21.10.2017
(14) 50 Klassiker, Photographen, von Louis Daguerre bis Nobuyoshi Araki, dargestellt von Wilfried Baatz, Gerstenbeck Verlag, Hildesheim, 2003
(15) Permantely online, Permanently connected“ – im Zeitalter der Smartphone – Fotografie verändert nicht nur das, was wir sehen, sondern auch die Art und Weise, wie wir miteinander reden. Begrenzter Internet-Zugang wa einmal; heute sind wir immer und überall online. Kommunikation ist mit Mobilität verknüpft und das bedeutet auch: Kommunikation endet nie...