Stricken, Politisierung, Streetart, Kunst- ein Überblick
Ich beziehe mich hauptsächlich auf Teile der Abschlussarbeit für die Bachelorprüfung zur Erlangung des Grades „Bachelor of Science“ von Sebastian Körner aus Heimsheim: „Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion?“, aus dem Fachgebiet Produktentwicklung, angefertigt im Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik der Hochschule Niederrheim, Standort Mönchengladbach, Referent Prof. Dr. rer.nat. Klaus Hardt, Korrespondent: Prof. Dr. Dipl.-Des. Ellen Bendt, Wintersemester 2011/12
Vielen herzlichen Dank!
Die ersten gesicherten Strick-Funde werden im 10. bis 12. Jahrhundert verortet.
1254 wurde Papst Innozenz IV mit gestrickten Handschuhen beerdigt.
Dem Prinzen Fernando de la Cerda wurden gestrickte Kissenbezüge und Handschuhe ins Grab beigelegt.
Vermutlich gelangte das Stricken über Handelsrouten ins maurische Südspanien.
Aus dem 12. und 13. Jahrhundert sind kunstvoll rundgestrickte Seidenstrümpfe bekannt.
Ganz genau kann die Entwicklung nicht rekonstruiert werden.
Das Altargemälde des Malers Meister Bertram aus Minden bildet 1390 eine strickende Madonna ab.
In Frankreich wurden hauptsächlich Strümpfe gestrickt, in England Strickkappen.
Ab Anfang des 16. Jahrhunderts verbreitete sich der Stricktrend unter den Mitgliedern der königlichen Familie.
Männer trugen nun gerne statt gewebter, gestrickte Beinkleider.
Die hauptsächlich männlichen Strickwarenhersteller organisierten sich in Zünften, die Anforderungen waren hoch:
„Bis zu sieben Jahre musste ein junger Mann in die Lehre gehen; davon drei Jahre bei einem Meister und drei Jahre auf Reisen. Im letzten Jahr hatte er dann, je nach der Satzung der Gilde, mit Meisterstücken sein Können unter Beweis zu stellen.“ 1
Die nützliche Handarbeit des Strickens verbreitete sich auch ungeachtet der Gilden und stellte eine Konkurrenz zu hauptberuflichen Strickern dar (Carl Spitzweg bildete z.B. strickende Schäfer und Soldaten ab). Feste Regeln entstanden, die den nichtorganisierten ländlichen Gruppen vorschrieben, wann und wo sie ihre Produkte veräußern durften.
Erste öffentliche Strickschulen für adelige und bürgerliche Töchter entstanden, die untere Bevölkerungsschicht brachte es sich zu Hause bei.
Mit dem Regierungsantritt Elisabeths I begann die Blütezeit der englischen Strickerei. Per Erlass verbot sie die Herstellung nicht gestrickter Mützen und forderte an Feiertagen das Tragen von in England hergestellten Strickwollmützen. Das kurbelte die heimische Strickwarenherstellung an, gestrickte Produkte wurden von Luxusartikeln zu alltäglichen Handarbeitswaren.
1590 erfand der Pfarrer William Lee aus Nottinghamshire die erste Strickmaschine, die, nach einigen Widerständen, die Handstrickerei ablöste. Vertriebene Hugenotten und Calvinisten brachten diese Erfindung u.a. nach Preußen und Süddeutschland mit. Die Strickerzünfte lösten sich auf.
Königin Maria Theresia (1740 – 1780) erklärte per Dekret die Handstrickerei zur laienhaften Tätigkeit.2
Stricken bot keine ausreichende Einnahmequelle mehr, das Handwerk wurde hauptsächlich von Frauen und Mädchen, zum Zeitvertreib oder für die eigene Familie, betrieben.
Handarbeit und politischer Protest
Während der französischen Revolution beteiligten sich viele strickende Frauen, im Lager der Sanscoulettes, an den Protesten. An der Seite der Revolutionäre nahmen sie am 5. und 6. Oktober 1789 am Zug der Frauen nach Versailles teil und unterstützten später den Sturz der politisch gemäßigten Gironde. 3
Dennoch erhielten, trotz erhobener Forderungen, Frauen kaum mehr Rechte, aber es wurde ihnen eine große Zahl an Plätzen auf den Zuschauertribünen zugestanden, von denen aus die Revolutionärinnen das Geschehen kommentierten.
Zum ersten Mal gingen hier Handarbeit und Protest zusammen. Der Begriff ‚Tricoteuse’ wurde zur allgemeinen Bezeichnung besonders radikaler Revolutionärinnen. Ihr immer wiederkehrender Ruf nach Gleichberechtigung veranlasste den Nationalkonvent zum Verbot aller Klubs und populären Gesellschaften für Frauen.
1793 appellierte der Pariser Stadthalter an die französischen Frauen, sich strickend an der Seite ihrer Familien zu zeigen, wodurch erreicht wurde, dass sich die ursprünglich politische Symbolik wieder auf den häuslichen Bereich verlagerte. Nach 1793 wurden Tricoteuses als Dienstmädchen in Volkstracht dargestellt. 4
Der stickend-patriotische Kampf wurde somit zur ‚weiblichen Arbeit’, etablierte sich und schloss die Männer aus.
Industrielle Strickwarenfertigung – Handstrickerei
Durch das Voranschreiten der industriellen Strickwarenfertigung verlagerte sich die Handstrickerei immer mehr ins Private.
Handarbeitszirkel wurden durch neue Massenmedien, wie beispielsweise Veröffentlichungen und Handarbeitsmagazine mit Anleitungen, überflüssig.
Nach politisch unruhiger Zeit kam die Epoche der Restauration, das Leben der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Bevölkerung verlagerte sich zunehmend ins Private.
Man lebte in häuslicher Zurückgezogenheit, so dass fast alle Frauen und Mädchen ausreichend Zeit und Muße hatten, sich mit Handarbeiten zu beschäftigen (...) Die Kunst des Strickens (...) wurde durch diese Häuslichkeit beträchtlich aufgewertet.“ 5
Diese Tätigkeit wurde zur „Liebesarbeit“ umgedeutet, nicht als ernsthafte Produktion oder Lohnarbeit anerkannt. 6
Die ab 1855 erscheinenden Magazine animierten zur ‚laienhaften Kopie’ der maschinell hergestellten Mode, auch der Erscheinungstakt der Handarbeitsmagazine glich dem Tempo der patriarchal determinierten industriellen Produktionsstrategien.
Eine Ausnahme bildete die Herstellung von Trachten, jedoch wurden die Produzentinnen in der Volkskunst verortet und nicht als Künstlerin anerkannt. 7
Erneute Politisierung und Militarisierung der Handarbeit
Das Scheitern der Deutschen Revolution 1848/49, der zunehmende Konflikt zwischen Österreich und Preußen, die Bildung des Norddeutschen Bundes, das darauffolgende Kaiserreich 1871 trug zu einer zunehmenden Politisierung der deutschen Bevölkerung bei.
Durch bürgerliche Frauenvereine und die Frauenbewegung lebte das weibliche Handwerk als kulturpolitisches Instrument erneut auf. In London wurden ‚Suffrage Ateliers’ zur Herstellung politischer Protestbanner (bestickt mit politischen Slogans, feministischen Forderungen zum Frauenwahlrecht), eingerichtet. 8
Textile Handarbeiten wurden als Felder sozialer, kultureller, politischer und ökonomischer Frauenpartizipation interpretiert.
Im Gegenzug wurde propagiert, dass Frauen sich ihren ‚natürlichen Berufen’ widmen sollten, um auf dem Arbeitsmarkt keine Konkurrenz darzustellen.
Die englische Patriotin strickte 1854 Socken und Handschule für ihre Truppen.
Während des ersten Weltkrieges veröffentlichten Magazine Anleitungen für Ohrenklappen und andere Handarbeiten für Soldaten.
In Österreich produzierten per ministeriellem Erlass Schülerinnen nur noch ‚Kälteschutz’ für Soldaten.
Gertrud Bäumer gründete den nationalen Frauendienst zur Strickproduktion für miltärische Zwecke.
Diese Art Frauenbewegung führte jedoch auch nicht zur Erlangung gleicher Rechte nach dem Krieg.
Ähnliche ‚Heimatfront’-Aktivitäten waren auch in den USA zu beobachten.
1950er und 1960er Jahre
Haute Couture war nach den Schrecken des zweiten Weltkriegs kein Thema. Neugegründete Mode- und Strickmagazine gaben Tipps zur Selbstherstellung für die mittellose aber modebewusste Bevölkerung.
Ende der 1960er Jahre nahm der Strickboom deutlich ab, es war nun preiswerter, auch durch die Senkung der Textilpreise, fertig produziert zu kaufen.
Selbstgestricktes war danach lange Zeit verpönt.
1980er Jahre – Comeback
Ehemalige Symphatisanten der 68er-Bewegung formierten sich zur Partei der ‚Grünen’, das Stricken zog mit ihnen in verschiedene Landtage und den Bundestag ein, wurde zum politischen Statement und zum Ausdruck der Unabhängigkeit. Es unterstrich das ökologische Do-it-yourself-Image, Umweltthemen und die Kritik an übermäßigem Warenkonsum.
Der neue Stricktrend setzte sich hauptsächlich in alternativen Kreisen durch, ansonsten ebbte die Handstrickerei wieder ab.
Stricken galt nicht als modefähig. 9
Do-it-yourself
Der Boom erklärt sich u.a. dadurch, dass die Menschen aufgrund zunehmender Prozessautomatisierung den Bezug zu den, durch ihre Vorarbeit hergestellten, Produkten verlieren. Daher wird es als befriedigend empfunden, persönliche Dinge mit den eigenen Händen herzustellen.
Experten, wie der Kommunikationswissenschaftler Christian Mikunda oder Dr. Herbert Benson von der Harvard Medical School sprechen dem Stricken eine stressreduzierende und regenerative Wirkung zu, es kommt sogar bei der Behandlung von Schmerzpatienten zum Einsatz. 10
Herübergeschwappt ist der Trend von den Vereinigten Staaten und anderen angloamerikanischen Nationen.
Die Gründerin des Magazins „Bust“ und Anhängerin des ‚Third-Wave-Feminismus’ ist eine der Hauptinitiatorinnen. Sie gründete 1999 die erste Strickgruppe ‚Sitch ‚n Bitch group’. Stoller: „Indem Frauen diese altmodische Technik wieder für sich beanspruchen, rebellieren sie gegen eine Kultur, die nur das Glatte, das Massenproduzierte, das Männliche anerkennt.“ 11
Ein Großteil des Do-it-yourself-Charakters der Third-Wave-Bewegung kommt aus der feminstischen Punkszene, den ‚Riot Grrls’, Anfang der 1990er Jahre mit dem Grundsatz: „Konsumier dich nicht glücklich – mach es selbst!“ 12
Verena Kuni unterscheidet zwischen ‚Craftistas’, Anhängern der Handarbeit und ‚Craftivistas’, die Handarbeit mit politischem Aktivismus verbinden. 13
Die Verlagerung des Handstrickens in den öffentlichen Raum, wird durch die Nutzung des Internets sehr unterstützt.
Die Kanadierein Stephanie Paerl-McPee forderte 2006 zum Olympischen Stricken auf, 4000 Menschen weltweit realisierten während der 16-tägigen Olympischen Winterspiele ein persönliches Strickprojekt. 14
Der ‚Worldwide Knit in Public Day’, 2005 von Danielle Landes ins Leben gerufen, findet um den 14. Juni jährlich statt.
Die Kulturwissenschaftlerin Elke Gaugele sieht in der aktuellen Handarbeitsbewegung einen Bruch von der Wohlstandgesellschaft, die nicht zwangsläufig selbst produzieren muss, hin zur Konsumkritik, die Kritik an der Wohlstandsgesellschaft übt. 15 Auch sie sieht Ursprünge im Third-Wave-Feminismus, darüber hinaus auch in der globalisierungskritischen Bewegung. 16
Die Verwendung textilen Materials schafft Verbindung zur Occupy-Bewegung. Im Mittelpunkt steht das Do-it-yourself-Prinzip, das eigene Aktivwerden, durch lokale und globale Proteste. Bürger fordern Gestaltungsrechte für ihre Stadt ein.
Streetart, Ursprünge und Parallelen zum Dadaismus, Situationismus, Punk, Subvertising
Nach Daniela Krause und Christian Heinicke bezeichnet der Begriff Streetart „... alle visuellen Ausdrucksforme ‚inoffizieller’ Besetzung durch Zahlen und Codes auf Oberflächen des urbanen Raumes (mit Ausnahme ‚klassischer’ Graffiti). 17
Johannes Stahl schreibt, dass diese widerspenstige Kunst immer schon neben der offiziellen Kunst existiert habe und Streetart ein verhältnismäßig neues Wort für eine uralte Kultur sei, nämlich sein Zeichen an die Wand zu setzen und so in die Öffentlichkeit hinauszutragen. 18
„Graffiti“ leitet sich vom griechischen ‚graphein’ (kritzeln, schreiben), auch vom italienischen ‚sgaffiare’ (kratzen) ab. Das Wort ‚Graffiti’ wurde zum ersten Mal Mitte des 19. Jahrhunderts mit Zeichnungen an den Mauern und Wänden Pompejis verwendet. 19
Zur Zeit Louis-Phillipe I waren es in politisch unruhigen Zeiten öffentliche Spottzeichnungen, zur Weimarer Republik oder in den 1960er Jahren häuften sich politische Wandbeschriftungen.
In den 1960er Jahren entwickelten sich in sozial benachteiligten Vierteln New Yorks illegale ‚Graffitis’ oder ‚American Graffiti’, auch Straßenbanden markierten mittels Schriftzügen.
Zu den weiteren gewaltfreien Ausdrucksformen gehören HipHop, Rap, DJing, Breakdance und das Graffiti-Writing, die eine Möglichkeit der Konflikt-Auseinandersetzung schafften. Ziel war es Ruhm und Anerkennung zu erlangen.
Es ist eine Regel, dass lesbare Tags nicht übermalt werden, das kommt einer Kriegserklärung gleich.
Streetart ist eine Form der Rückeroberung des öffentlichen Raums, der oftmals von Subkulturen ‚rein’ gehalten werden soll.
In Amerika gehören eher unterprivilegierte und junge Bevölkerungsschichten zur Graffitiszene, in Europa stammen diese meist nicht aus den Unterschichten.
Innerhalb kürzester Zeit hatte diese Form der Streetart eine große Anhängerschaft, deren Beliebtheit sich nicht alleine durch hohe Internet-Präsenz erklärt.
Clara Völker bezeichnet diese Form als „intellektuelle Schwester von Graffiti“.20
Eine Intention des Graffiti ist es, auf die Kommerzionalisierung des öffentlichen Raums aufmerksam zu machen, schließlich erkundige sich auch niemand, ob das Anbringen von Werbemitteln erwünscht sei. 21
Graffiti ist weltweit nicht mehr wegzudenken und wie dort, findet in der Streetart-Bewegung Kommunikation zwischen den einzelnen Beteiligten durch ihre Arbeiten statt. 22
Streetart wendet sich an die breite Masse, sie kann sowohl kritisch, als auch unterhaltend gelesen werden.
Streetart ist leichter lesbar als Graffiti, daher erreicht Graffiti teilweise auch Akzeptanz konservativer Bevölkerungsschichten.
Gould zufolge „(...) sind deshalb so viele Leute für Straßenkunst empfänglich, weil sie (...) als Menschen angesprochen werden und nicht als potentielle Konsumenten.“ 23
Streetart integriert sich in ihre Umwelt, macht die Stadt selbst zum Bestandteil ihrer Kunstwerke 24, trifft Menschen unerwartet im Alltag und erreicht so ein wesentlich größeres Publikum als beispielsweise offizielle Kunst. 25Um die Jahrhundertwende interessierte sich die Presse zunehmend für Streetart, was den Hype weiter anheizte.
Die Vergänglichkeit der Werke ist ein wesentlicher Bestandteil der Straßenkunst, das Foto das einzige, was übrig bleibt.
Der Dadaismus zur Zeit des zweiten Weltkriegs beeinflusst bis heute die Graffiti-Szene. Damals vertraten verzweifelte Künstler die Ansicht, die Welt könne nicht mehr ernst genommen werden.
Dadaismus entwickelte sich zur Protestkunst, lehnte unantastbare Werte ab, machte Vaterland, Religion, geltende Moral und Ehre lächerlich. 26
Die Gruppe um Hugo Ball erklärte die Anti-Kunst um gegen eine Kunstanschauung zu protestieren, die das Schöne der Vergangenheit betont und die grausame Wirklichkeit ignoriert.
Es wurden u.a. Schablonen, selbsterstellte Zeitungen, Plakate und Collagen verwendet.
Zur heutigen Graffiti-Szene lassen sich Parallelen ziehen.
Banksy z.B. nutzt Streetart um auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen.
Situationisten entdeckten in den 50er Jahren das ‚Dérive’, das ziellose Umherschweifen innerhalb der städtischen Umwelt, wobei Hindernisse bewusst nicht umgangen wurden. So fanden sie Ziele und Orte für ihre Aktionen.
Détrovement bezeichnet die Zweckentfremdung von Dingen, ‚Subversing’ die Veränderung von Werbeplakaten.
Die Punkband ‚Sex Pistols’, Malcom McLaren und Vivienne Westwood beeinflussten maßgeblich Englands Punkszene.
Ende der 1970er Jahre wurden politische Slogans gesprüht, die Do-it-yourself-Philosophie ging Hand in Hand mit selbst schablonierten Plattencovern.
Subversing wird die nicht genehmigte Manipulation von Werbebotschaften genannt, was gewissermaßen einer ‚Manipulation der Manipulation’ gleichkommt.
‚Cultur Jamming’ mischt sich störend in die kulturelle Kommunikation ein, betreibt Konsumkritik.
Erklärtes Ziel ist nicht die ersatzlose Abschaffung des Kapitalismus, sondern das Aufzeigen von Schwachstellen und die Anregung zur Verbesserung. 27
In den 1970er und 1980er Jahren fanden zwei erfolglose Versuche, Graffiti in Kunstgalerien zu etablieren, statt. Studierte Künstler imitierten den Stil, echte ‚Writer’ scheiterten am Mangel kunsthistorischen Wissens um ihre Werke für Galeriezwecke hinreichend erklären zu können. 28
Mittlerweile arbeiten viele Writer in künstlerischen Berufen, haben künstlerische Studiengänge absolviert. Dadurch steigt die Erweiterung der Szene um Personen aus höheren Bildungsschichten und das Durchschnittsalter der Streettartkünstler. Demzufolge sind viele Altersklassen vertreten. 29
Schon in der etablierten Kunst fanden textile Materialien und Techniken Verwendung. Sicher hat auch die Do-it-yourself-Bewegung und die starke Verbreitung im Web 2.0 starken Einfluss darauf gehabt.
Das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude verwendete textile Materialien für ihre Landart.
Die Wahl des weichen, sanften Materials bei Strick-Graffiti und die Präsentation im öffentlichen Raum überrascht, ohne sich aufzudrängen.
Jim Warren bezeichnet Strick-Graffiti als den kleinen Cousin der Werke Christos. 30
Rosemarie Trockel nahm die Kulturtechnik der Handarbeit zum Thema, setzte sich mit Vorurteilen gegenüber Materialien und Techniken auseinander.
Patricia Waller fertigt seit Mitte der 90er Jahre Häkelskulpturen an, die oft grausame, unwirkliche Szenen in comichaftem Stil zeigen.
Janet Morton fertigte 2003 eine Spitzen-Baum-Behäkelung an. Sie fertigt seit Anfang der 90er Jahre Kunstobjekte mittels Häkeltechnik an. 1995 besetzte sie dreißig Tage lang eine Ladenzeile (...) in Toronto (...) und strickte dort öffentlich. Singer und Morton werden zu den Vorgängerinnen der Strick-Graffiti Bewegung gezählt. Die nordamerikanische Künstlerin Carol Hummel umstrickte 2001einen kompletten Baum und wurde damit selbst Teil der Yarn-Bombig-Bewegung, wobei sie ihre Werke nicht ausschließlich als Urban Knitting versteht, sie lässt sich also nicht festlegen.
Die dänische Künstlerin Marianna Jorgensen bestrickte 2006, mit Hilfe zahlreicher Unterstützer aus Europa und den USA, in rosa-pinkfarbenen Quadraten einen M.24 Chaffee Panzer.
Diese Gemeinschaftsarbeit macht deutlich, dass jedes Quadrat individuell von einem anderen Menschen gefertigt ist, aber alle ein gemeinsames Bekenntnis zum Widerstand gegen den Krieg im Irak ablegten. 31
2005 umstrickte Magda Sayeg zur Aufheiterung die Türklinke ihres Bekleidungsgeschäftes und erntete positive und überraschende Reaktionen. Mit einer Freundin umstrickte sie darauf ein Stoppschild, ‚Knitta Please’ entwickelte sich, eine, im Durchschnitt sechs-bis elfköpfige Gruppe entstand, die es sich zur Aufgabe machte, weltweit Strick-Graffiti zu hinterlassen, um mithilfe von farbiger Wolle die Stadttristesse zu bekämpfen. 32 Für sie steht vorrangig das ‚lebendig machen’ eines leblosen Objekts, das Menschen nicht wütend, sondern glücklich mache. 33
Zunächst wurde unter Pseudonym gearbeitet, die Verbreitung der bis dato anonymen ‚Strick-Graffitis’ trug dazu bei, dass die Gruppe sich während eines Interviews mit tatsächlichen Namen erkenntlich zeigten. 34
Motivationen
Die Grenze zwischen unpolitischer und politischer Motivation ist fließend.
Hanno Rautenberg vergleicht das öffentliche Leben mit der Steinzeit, alles ist klar und steinern unverrückbar, für ewig zu sein. In diesem Zustand erscheint Echtzeit in Form von Unmittelbarem, Augenblicklichem hineinzubrechen. Die Fußgängerzone wurde aus dem Ordnungsgeist geboren. „Sie war als Reservat des Öffentlichen gedacht, hier sollte der Bürger ungestört sein, unbehelligt vom Lärm des Autoverkehrs, vom Dreck der Fabriken ...“ 35 Dieser Raum entwickelte sich widersprüchlich, Shopping-Zentren entstanden, die öffentlichen Räume verwandelten sich in reine Konsumzonen, die Zahl der Überwachungskameras wächst, Groß- und Riesengroßplakatwerbung... 36
Ähnliches gilt für das, als öffentlicher Raum beschriebene, Internet. Die Dominanz von Privatinteressen einiger weniger, das Ausspähen und Kontrollieren. Der Mensch als Datenträger, mit seinen Meinungen, Vorlieben, Verhaltensweisen, Aufenthaltsorten. „Sie haben null Privatsphäre, finden sie sich damit ab“, sagt zum Beispiel Scott McNealy, ehemaliger Vorstandsvorsitzender von Sun Microsystems. 37
„... je stärker sich Teile des Lebens ins Reich des Digitalen verlagern, umso größer scheint das Bedürfnis nach Realräumen zu werden, nach jener „Kraft der Intersubjektivität“, von der Jürgen Habermas spricht und die nicht zuletzt auch eine körperliche Erfahrung ist. 38
Der Moment, der aus dem Nutzer einen Produzenten macht, kann die Psychologie des Öffentlichen wandeln. 39
Die Bereitschaft, sich zu ungewohnten Spielformen des Öffentlichen im Realraum zu verabreden, scheint deutlich zu wachsen. 40
1Stradal, Marianne und Brommer, Ulrike (1990), Mit Nadel und Faden, Kulturgeschichte der klassischen Handarbeiten, S.155,
2Freiß 2011, S.32. Hinweis dazu: Maria Theresia war nie Kaiserin, wurde aber nach der Kaiserkrönung ihres Mannes oft als solche bezeichnet, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 9
3Gaugele, Elke (2012), Critical Crafting, Stricken oder Achselhaare?, Interview geführt von Sandra Kaiser. In: die Standard.at., verfügbar unter: http://diestandard.at/1325485777330/Critikal-Crafting-Stricken-oder-Achselhaare (Zugriff a, 09. Januar 2012), in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 10
4Gaugele, Elke (2012), Critical Crafting, Stricken oder Achselhaare?, Interview geführt von Sandra Kaiser. In: die Standard.at., verfügbar unter: http://diestandard.at/1325485777330/Critikal-Crafting-Stricken-oder-Achselhaare (Zugriff am 09. Januar 2012), in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 11
5Stradal, Marianne und Brommer, Ulrike (1990), Mit Nadel und Faden, Kulturgeschichte der klassischen Handarbeiten. Freiburg, Verlag Herder, S.179, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 12
6vgl. Freiß 2011, S.33 und Stradal 1990, S.179, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 12
7Wallhöfer, Elsbeth (2011), Juckende Strumpfhosen und andere außerhäusliche Gemütlichkeiten. In: Critikal Crafting Circle (Hrsg.): crafista! Handarbeit als Aktivismus. S. 43-48, Mainz, Ventil Verlag KG, siehe dazu auch: Schmidt, Leopold (1968), Die Kunst der Namenlosen. Wiener Volkskunst aus fünf Jahrhunderten. Salzburg/Stuttgart: Bergland-Buch, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 14
8Parker, Rozsika (2010), The Subversiv Stich: Embroidery and the Making of the Femine. London, I.B. Tauris, S. 192ff und 199; vgl. n. Gaugele 2011, S.20f, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion?, in Sebastian Körner (s.o.), S. 14
9Helmhold, Hedi (2011), Reparaturen am sozialen Körper – Gertrud K. In: Critikal Crafting Circle (Hrsg.): craftista! Handarbeit als Aktionismus, S. 49-57, Mainz, Vetrul Verlag, S. 57, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 17
10Runge, Heike Karen (2011), Stricken statt streiken? Das Revival der Handarbeiten als politische Aktionsform, Let’s stick together, in: Jungle World, verfügbar unter: http://jungle-world.com/artikel/2011/49/44495.html (Zugriff am 12. Januar 2012), in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 36
11Stoller, Debbie (2004), Sitch ‚N Bitch, The Knitter’s Handbook, Workmann Publishing Company, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 36
12Koever, Chris (2009), An der Nadel, In: ZEIT Campus. Verfügbar unter: http:/www.zeit.de/campus/2009/01/maennerstricken-text (Zugriff am 29. Januar 2012), in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner, S. 36
13Kuni, Verena (2011): Verstrickt und zugenäht? Handarbeit, die Kunst, die Mode und ihre LiebhaberInnnen, in: Critical Crafting Circle (Hrsg.): craftista! Handarbeit als Aktivismus, S. 74-87, Mainz, Ventil Verlag, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 37
14Pearl-McPee, Stephanie (2006), The 2006 Knitting Olympics, in: Yarnharlot.ca. verfügbar unter: http://www.yarnharlot.ca/blog/olympics2006.html(Zugriff am 14. März 2012), in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 38
15Gaugele, Elke (2012), Critikal Crafting, Stricken oder Achselhaare? Interview geführt von Sandra Ernst Kaiser, in: dieStandart.at, verfügbar unter: http:/diestandard.at/1325485777330/Critical-Crafting-Stricken-oder-Achselhaare (Zugriff am 09. Januar 2012), in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 39
16Gaugele, Elke (2012), Critikal Crafting, Stricken oder Achselhaare? Interview geführt von Sandra Ernst Kaiser, in: dieStandart.at, verfügbar unter: http:/diestandard.at/1325485777330/Critical-Crafting-Stricken-oder-Achselhaare (Zugriff am 09. Januar 2012), in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 39
17Krause, Daniela (20112), Verstrickt und zugenäht? Die Handarbeit, die Kunst, die Mode und ihre LiebhaberInnen. In: Critical Crafting (Hrsg.), crafista! Handarbeit als Aktivismus, S. 74 – 97, Mainz, Ventil Verlag KG, S. 58, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.) , S 14
18Stahl, Johannes (2009), Street Art (Art Pocket), Königswinter, f.f.ullmann publishing, S.6, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.) , S. 19
19vgl. Stahl 2009, S.6, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 19
20Völker, Clara (2009),Street, Art, Hype, in: K. Klitzke und C. Schmidt (Hrsg.), Street Art. Legenden zur Straße, s. 18-19, Berlin, Archiv der Jugendkulturen Verlag KG, S.18, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Köner (s.o.), S. 27
21Krause, Daniela und Heinicke, Christian (2010b), Einleitung zur Diskursraum. In: D. Krause und C.Heinicke (Hrsg.), Street Art. Die Stadt als Spielplatz. 2. Auflage, S. 54-55, Berlin, Arvjiv der Jugendkulturen Verlag KG, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 28
22Krause, Daniela und Heinicke, Christian (2010b), Einleitung zur Diskursraum. In: D. Krause und C.Heinicke (Hrsg.), Street Art. Die Stadt als Spielplatz. 2. Auflage, S. 54-55, Berlin, Arvjiv der Jugendkulturen Verlag KG, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 27
23Gould (2010), Arbeitsraum. Gould. In: D.Krause und C. Heinicke (Hrsg.), Street Art. Die Stadt als Spielplatz, 2. Auflage, S. 98-101, Berlin, Archiv der Jugendkulturen Verlag KG, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 29
24Klitzke, Katrin und Schmidt, Christian (2009), Street Art – Legenden zur Strasse. In: K. Klitzke und c. Schmidt (Hrsg.), Street Art. Legenden zur Strasse, S.10, Berlin, Archiv der Jugendkulturen Verlag KG, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion?, Sebastian Körner (s.o.), S. 30
25Krause, Daniela und Heinicke, Christian (2010), „Was ist Street Art?“, In: D.Krause und C. Heinicke (Hrsg.), Street Art. Die Stadt als Spielplatz, 2. Auflage, S. 58-61, Berlin, Archiv der Jugendkulturen, Verlag KG, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 30
26Szymanska, Magdalena (2009), Dada und die Wiener Gruppe. Hamburg, Diplomica Verlag GmbH, S. 4f, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 21
27Von Anstaetten, Lätitia (2010), Culture Jamming, in: K.Klitzke und C. Schmidt (Hrsg.), Street Art, Legenden zur Straße, S. 18-19, Berlin, Archiv der Jugendkulturen Verlag KG, S.62f, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 14
28Austin, Joe (2011), Taking the train. How Graffiti Art became an urban crisis in New York Citiy. New York, Columbia University Press, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 31
29Reinecke, Julia (2007), Street Art. Eine Subkultur zwischen Kunst und Kommerz, Bielefeld, transcript Verlag, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S.31
30Warren, Jim (2011), Knitting group gives a tree a sweater. In: Kentucky.om, verfügbar unter: http://www.kentucky.com/2011/21/1967255/in-a-chilly-drizzle-a-tree-could.html (Zugriff am 28. November 2011), in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 33
31Moore, Mandy und Prain, Leanne (2011): Strick Graffiti, München, Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur, in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner, S. 35
32Sayeg, Magda (2011), Magda Sayeg von Knitta, Interview geführt von Mandy Moore und Leanne Prain, in: M.Moore und L. Prain, Strick Graffiti, S. 183-186, München, Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur, in: Gaugele, Elke (2012), Critikal Crafting, Stricken oder Achselhaare? Interview geführt von Sandra Ernst Kaiser, in: dieStandart.at, verfügbar unter: http:/diestandard.at/1325485777330/Critical-Crafting-Stricken-oder-Achselhaare (Zugriff am 09. Januar 2012), in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 40
33Sayeg, Magda (2011), Magda Sayeg von Knitta, Interview geführt von Mandy Moore und Leanne Prain, in: M.Moore und L.Prain, in: Strick Graffiti, S. 183-186, München, Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur, in: Gaugele, Elke (2012), Critikal Crafting, Stricken oder Achselhaare? Interview geführt von Sandra Ernst Kaiser, in: dieStandart.at, verfügbar unter: http:/diestandard.at/1325485777330/Critical-Crafting-Stricken-oder-Achselhaare (Zugriff am 09. Januar 2012), in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastian Körner (s.o.), S. 34
34Sayeg, Magda (2011), Magda Sayeg von Knitta, Interview geführt von Mandy Moore und Leanne Prain, in: M.Moore und L.Prain, in: Strick Graffiti, S. 183-186, München, Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur, in: Gaugele, Elke (2012), Critikal Crafting, Stricken oder achselhaare? Interview geführt von Sandra Ernst Kaiser, in: dieStandart.at, verfügbar unter: http:/diestandard.at/1325485777330/Critical-Crafting-Stricken-oder-Achselhaare (Zugriff am 09. Januar 2012), in: Strick Graffiti – vom Handwerk zur Kunstform, zur Rebellion? Sebastin Körner (s.o.), S. 41
35HannoRautenberg, Die Psychologie des Urbanen, kunstforum, Bd. 218, Oktober-Dezember 2012, Der urbane Blick, Impulse für eine Documenta urbana, S. 92-103
36ebd.
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